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Wer proteinarm isst, ist gesünder

Proteinreiche Ernährungsformen gelten als perfekt – einerseits zum Abnehmen, andererseits zum gesund bleiben oder gesund werden. Schon lange aber weisen Studien auf das Gegenteil hin: Wer weniger Eiweiss zu sich nimmt, ist gesünder und lebt länger.

Fachärztliche Prüfung: Gert Dorschner
Aktualisiert: 19 Februar 2024

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Weniger Protein verbessert die Gesundheit

Kohlenhydrate und Fette haben einen relativ schlechten Ruf. Proteine hingegen gelten als wertvolle Nährstoffe, die satt machen, den Muskelaufbau und beim Abnehmen helfen sollen. Und obwohl es auch Studien gibt, die eine proteinarme Ernährung mit Gebrechlichkeit und Muskelabbau im Alter in Verbindung bringen, werden immer mehr Untersuchungen veröffentlicht, die insbesondere für Menschen jüngeren und mittleren Alters das Gegenteil zeigen, nämlich dass proteinarme Ernährungsformen zu mehr Gesundheit beitragen und ausserdem die Lebenserwartung verlängern. Proteinreiche Ernährungsformen können hingegen Übergewicht, eine Insulinresistenz und Diabetes begünstigen sowie die Lebenszeit verkürzen ( 8 ) ( 9 ) ( 10 ).

Im Jahr 2014 erschien eine australische Studie ( 2 ), in der man geschaut hatte, wie sich verschiedene Ernährungsformen auf Mäuse und deren Stoffwechsel auswirkten. Als Dudley Lamming – Stoffwechselforscher an der University of Wisconsin – die Studie las, faszinierte ihn besonders ein Ergebnis: Es hatte sich gezeigt, dass Mäuse, deren Ernährung am wenigsten Protein enthielt, die gesündesten waren.

BCAA sind das Problem

Seit damals versucht Lamming mit seinen Studenten die Frage zu beantworten, warum eine Ernährung mit niedrigem Proteingehalt Tiere gesünder macht. Er stellte fest – nicht nur an Mäusen, sondern auch bei Menschen – dass Ernährungsformen, die besonders hohe BCAA-Anteile aufwiesen, mit Diabetes, Übergewicht und anderen Stoffwechselerkrankungen im Zusammenhang standen, während Ernährungsformen, die nur geringe BCAA-Anteile hatten, Stoffwechselerkrankungen entgegenwirkten und bei Mäusen sogar deren Lebenserwartung verlängerten.

BCAA sind die verzweigtkettigen Aminosäuren Leucin, Isoleucin und Valin (BCAA für engl. Branched Chain Amino Acids). Sie zählen zu den essentiellen Aminosäuren, müssen also mit der Nahrung aufgenommen werden. Besonders im Kraftsport werden gerne Nahrungsergänzungsmittel mit isolierten BCAA eingenommen, weil man sich damit einen besseren Muskelaufbau erhofft bzw. Muskelabbau verhindern möchte.

Im Sommer 2016 veröffentlichte Lammings Team eine randomisierte klinische Studie zu diesem Thema, die zeigte, dass eine proteinreduzierte Ernährung beim Menschen die Stoffwechselgesundheit auf ähnliche Weise wie bei Mäusen verbesserte ( 11 ).

Die übergewichtigen Teilnehmer (mit BMI von ca. 30) nahmen in der proteinreduzierten Gruppe 7 bis 9 Prozent ihres Energiebedarfs in Form von Proteinen zu sich, in der Kontrollgruppe mit normalem Proteingehalt waren es 50 Prozent mehr Protein.

Nach 43 Tagen hatten die Teilnehmer in der proteinreduzierten Gruppe ca. 2,6 kg abgenommen, insbesondere Fettmasse. Der Nüchternblutzuckerspiegel war niedriger, während sich der Spiegel des Hormons FGF21 verdoppelt hatte. FGF21 sensibilisiert die Zellen für Insulin, reduziert die Nahrungsaufnahme und fördert die Fettverbrennung.

In der Kontrollgruppe mit normalem Proteinverzehr änderte sich das FGF21 nicht. Auch kam es zu keiner Gewichtsabnahme oder sonstigen Verbesserungen der Stoffwechselwerte.

Als man in der proteinreduziert essenden Gruppe den Spiegel der einzelnen Aminosäuren im Blut überprüfte, zeigte sich, dass hauptsächlich die Werte der BCAA gesunken waren, alle anderen essentiellen Aminosäuren (ausser Lysin) waren unverändert stark vertreten. Also scheint es insbesondere der sinkende BCAA-Spiegel zu sein, der zu den gesundheitlichen Vorteilen führte.

BCAA-Reduktion beschleunigt den Stoffwechsel

Schränkt man den BCAA-Verzehr ein, wird der Blutzuckerspiegel optimiert und der Stoffwechsel beschleunigt. Eine proteinarme Ernährung kann den Stoffwechsel sogar dann beschleunigen, wenn dieselbe oder gar eine höhere Kalorienmenge aufgenommen wird als zuvor bei der proteinreichen Ernährung, so Dudley Lamming.

"Es wird immer klarer, dass eine Kalorie eben nicht nur eine Kalorie ist – und dass sich ein Lebensmittel weit über seinen Kaloriengehalt hinaus auf den Stoffwechsel auswirkt“, sagt er. „Unsere Studie zeigt jedenfalls, dass Proteinkalorien nicht dasselbe sind wie andere Kalorien.“

Proteinrestriktion bringt die Vorteile des Wenigessens

Dass das Wenigessen gesund ist (Kalorienrestriktion), ist vielen Menschen bereits bekannt ( 16 ) ( 17 ) ( 18 ), dass aber auch eine Proteinrestriktion, also eine Einschränkung des Proteinkonsums gesund ist, darüber wird viel weniger geschrieben. Die wissenschaftlichen Belege über die Vorteile sowohl einer Kalorienrestriktion als auch einer Proteinrestriktion reichen jedoch fast hundert Jahre zurück, wobei natürlich gerade in den letzten Jahren viel zu diesen Themen geforscht wird und wurde.

Im Jahr 2009 beispielsweise zeigten Forscher, dass Rhesusaffen später (altersbedingt) erkrankten und länger lebten, wenn sie kalorienreduziert ernährt wurden (5). Studien mit anderen Tieren zeigten ganz ähnliche Resultate ( 6 ).

Nun vermutet man, dass man viele Vorteile einer Kalorienrestriktion auch einfacher erzielen könnte, nämlich indem man lediglich die Proteinaufnahme reduziert. In den entsprechenden Tierstudien blieben die erwünschten gesundheitlichen Vorteile sogar bestehen, wenn die Tiere so viel essen konnten, wie sie wollten, wenn sie dabei nur möglichst wenig Proteine verzehrten.

BCAA-Reduktion verzögert Alterung und verlängert Leben

Lamming und Kollegen untersuchten nun in verschiedenen Studien, wie sich die alleinige Restriktion der BCAA-Aufnahme auswirken würde. Im Januar 2021 erschien die Zusammenfassung der Ergebnisse in Nature Aging. Die Forscher schrieben darin u. a., dass die günstigen Auswirkungen auf den Stoffwechsel durch eine proteinreduzierte Ernährung auch dann zu beobachten waren, wenn man lediglich die Menge der verzehrten BCAA reduzierte.

Bei einer BCAA-reduzierten Ernährung verzögerte sich bei den Mäusen der Alterungsprozess, ihre Körperzusammensetzung verbesserte sich (weniger Fettmasse) und auch ihre Stoffwechselgesundheit (z. B. Glucosetoleranz) wurde optimiert – und zwar auch dann, wenn sie erst in einem mittleren Alter mit der BCAA-reduzierten Kost starteten. Bekamen die Tiere die BCAA-reduzierte Ernährung von Geburt an und ein Leben lang, dann konnte ihr Leben (insbesondere bei den männlichen Tieren) um 30 Prozent verlängert werden (7).

BCAA-reduziert bedeutet, dass die BCAA-Menge der Ernährung auf ein Drittel reduziert wurde. Es handelte sich jedoch nicht um eine kalorienreduzierte Ernährung, denn die Tiere konnten so viel essen, wie sie wollten.

BCAA hemmen lebensverlängernden Effekt des Wenigessens

Wie stark die ungünstige Auswirkung der BCAA bzw. essentieller Aminosäuren sein kann, zeigte sich in einer weiteren Studie: Darin gab man Nagern zu einer um 40 Prozent kalorienreduzierten Kost eine Extraportion essentielle Aminosäuren. Diese Nahrungsergänzung blockierte die Vorteile der kalorienreduzierten Ernährung in Sachen Langlebigkeit. Die zugefütterten Aminosäuren konnten also die lebensverlängernden Effekte des Wenigessens hemmen ( 19 ).

Je höher die BCAA-Blutwerte und je höher der BCAA-Gehalt der Nahrung, umso höher ist ausserdem das Risiko für Insulinresistenz und Übergewicht – bei Mensch und Tier, wie verschiedene Studien aus dem letzten Jahrzehnt zeigten (7).

Methionin-Reduktion wirkt ebenfalls lebensverlängernd

Bei der Fruchtfliege, die häufig als Studientier verwendet wird, da es zwischen ihr und dem Menschen mehr Gemeinsamkeiten gibt, als man annehmen würde, führte die Reduzierung insbesondere der Aminosäure Methionin zu einer verlängerten Lebensspanne.

Bei Mäusen verlängerte eine methionin-reduzierte Ernährung ebenfalls die Lebenszeit, verlangsamte ausserdem den Alterungsprozess des Immunsystems und der Augenlinse, wirkte sich positiv auf den Blutzuckerspiegel, die Schilddrüsenhormone, den Insulinspiegel und den IGF-I-Spiegel aus. Letzterer war bei den methioninarm essenden Tieren niedriger (ein hoher IGF-I-Spiegel fördert u. a. die Krebsentstehung). Auch die Leber war bei diesen Tieren deutlich stärker, war also weniger anfällig für oxidativen Stress durch Giftstoffe ( 13 ).

Eine lebenslange methionin-reduzierte Ernährung verlängert die Lebensspanne von Ratten um 30 Prozent ( 14 ) ( 15 ). Methionin-reduziert bedeutet, dass die Ernährung statt 0,86 Prozent Methionin nur 0,17 Prozent Methionin enthält. Welche Lebensmittel viel Methionin enthalten, lesen Sie in unserem Artikel über die Vorteile einer methionin-reduzierten Ernährung bei Autoimmunerkrankungen.

Wie BCAA der Gesundheit schaden können

Der Mechanismus, wie und warum sich BCAA so negativ auf die Gesundheit und die Lebensspanne auswirken, wird folgendermassen erklärt: BCAA erhöhen die Aktivität von mTORC1 in der Muskulatur. mTORC1 ist ein Enzym mit stoffwechselregulierenden Eigenschaften. Eine Überaktivität hemmt die lebenswichtige Autophagie, die u. a. den Selbstreinigungsmechanismus der Zelle beschreibt, der – wenn er umfassend funktioniert – eine Art Gesundheitsgarantie darstellt, wie wir im vorigen Link beschreiben (wo Sie auch Massnahmen erfahren, wie Sie selbst die Autophagie in Ihren Zellen aktivieren können).

Auch bei einem Krebsgeschehen ist mTORC1 überaktiv. Bei Krebs hilft mTORC1 dem Tumor bei Wachstum und Ausbreitung, weshalb schon manche Krebsmedikamente zur Hemmung von mTORC1 entwickelt wurden. mTORC1 verstärkt auch eine Insulinresistenz, fördert also einen Diabetes und weitere altersbedingte Erkrankungen (wenn das Enzym zu aktiv ist) und steht daher mit einer verkürzten Lebensspanne in Zusammenhang (7). Wenn BCAA nun mTORC1 aktivieren, wird klar, warum sich eine proteinreiche bzw. BCAA-reiche Ernährung negativ auf die Gesundheit und Lebenserwartung auswirkt.

Schneller Stoffwechsel durch weniger BCAA

Im April 2021 veröffentlichten die Wissenschaftler eine weitere Arbeit. Darin hatten sie untersucht, ob sich die einzelnen BCAA verschieden stark auf den oben erklärten Mechanismus auswirken ( 20 ). Isoleucin hatte dabei die stärkste Wirkung. Die Wirkung von Valin war ähnlich, wenn auch etwas schwächer. Reduzierte man diese beiden Aminosäuren in der Ernährung, so hatte das Vorteile für die jeweiligen Tiere. Reduzierte man jedoch die dritte BCAA (Leucin), so zeigte diese Massnahme keinen Vorteil. Im Gegenteil, es war eher schädlich.

Gab man Mäusen nun, die aufgrund einer typisch westlichen Ernährung übergewichtig geworden waren, eine isoleucinarme Ernährung, dann assen die Tiere noch mehr als zuvor, nahmen aber dennoch an Gewicht ab. Der Stoffwechsel hatte sich – im Gegensatz zum Stoffwechsel bei der kalorienreduzierten Ernährung – beschleunigt, was bedeutete, dass die Tiere auch in Ruhe mehr Energie in Form von Wärme produzierten ( 4 ).

Als Lammings Forscher die Situation beim Menschen überprüften, zeigte sich Ähnliches: Je mehr Isoleucin der Speiseplan enthielt, umso eher neigten die Personen zu Übergewicht.

Proteinarm essen – Die Praxis

Wie kann man diese Erkenntnisse nun in die Praxis umsetzen?

Wer proteinarm essen sollte und wer nicht

Für Sportler, die einen Muskelaufbau anstreben, sind BCAA natürlich für Muskelneubildung und Muskelregeneration wichtig.

Für die durchschnittliche Bevölkerung aber, die mit Übergewicht kämpft, zudem die meiste Zeit des Tages im Sitzen verbringt und sich auch nicht zu mehr Bewegung, geschweige denn regelmässigem Krafttraining aufraffen möchte, könnte eine proteinarme Ernährung sinnvoller sein.

Proteinarm essen ist einfacher als kalorienreduziert essen

Eine kalorienreduzierte Ernährung wäre zwar ebenfalls sehr gut – so Lamming – doch wird diese im Allgemeinen nicht durchgehalten, weshalb die proteinarme Variante, die zudem nicht einmal eine Kalorienreduzierung erfordert, eine gute Lösung zur Neuprogrammierung des Stoffwechsels darstellen könnte.

Am besten pflanzenbasiert essen

Allein einzelne BCAA lassen sich in der Ernährung kaum reduzieren, da diese nun einmal Bestandteil von Proteinen sind. Einfacher ist es daher, den Proteingehalt insgesamt zu reduzieren, was automatisch der Fall ist, wenn man sich pflanzenbasiert ernährt.

Zwar sind auch Nüsse und Hülsenfrüchte reich an Proteinen und BCAA.

Doch geht es ja nicht darum, überhaupt keine Proteine mehr zu essen, sondern lediglich darum, nicht zu viel davon zu essen.

Bei einer herkömmlichen Ernährung mit viel Käse, Milch, Wurst, Fleisch und Fisch kommt es daher eher zu einem Proteinüberschuss als bei einer veganen Ernährung, die mit Nüssen, Saaten und Hülsenfrüchten ergänzt wird.

Pflanzliche Proteine sind meist besser als tierische

In einer Studie von 2010 stellte man überdies fest, dass z. B. das Diabetesrisiko nur bei reichlichem Verzehr von tierischen Proteinquellen stieg, denn pflanzliche Proteinquellen erhöhten das Diabetesrisiko nicht ( 12 ).

Weitere Studien, die zeigen, dass es deutliche Unterschiede bei der Proteinqualität und deren Wirkung auf die Gesundheit gibt, stellen wir in unserem Artikel Low Carb Ernährung verkürzt das Leben – es sei denn, sie ist vegetarisch vor.

Wie Sie Ihre Ernährung auf proteinarm umstellen

Die Ernährungsumstellung auf eine rein pflanzliche Ernährung mit moderatem Proteingehalt ist übrigens kein Problem. Unsere Rezepterubrik liefert Ihnen über 2000 leckere pflanzenbasierte Rezepte. Ganz herzlich sind Sie auch in unserem ZDG-Kochstudio auf unserem Youtube-Kanal willkommen, wo unsere Köche Ihnen zeigen, wie schnell, unkompliziert und köstlich eine gesunde Ernährung sein kann.

Wenn Sie Probleme bei der Umstellung auf eine gesunde Ernährung haben, helfen Ihnen unsere Ernährungspläne, z. B. unser Ernährungsplan zum Abnehmen, unser basischer Ernährungsplan zur Entschlackung oder unsere Ernährungspläne für verschiedene Krankheitsbilder, z. B. für Bluthochdruck, Hashimoto, Rheuma oder Diabetes.

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Wichtiger Hinweis

Dieser Artikel wurde auf Grundlage (zur Zeit der Veröffentlichung) aktueller Studien verfasst und von MedizinerInnen geprüft, darf aber nicht zur Selbstdiagnose oder Selbstbehandlung genutzt werden, ersetzt also nicht den Besuch bei Ihrem Arzt. Besprechen Sie daher jede Massnahme (ob aus diesem oder einem anderen unserer Artikel) immer zuerst mit Ihrem Arzt.