Blutegeltherapie neu entdeckt
Die Anwendung von Blutegeln in der Heilkunst ist vermutlich so alt wie die Heilkunst selbst. In den Sanskrit-Aufzeichnungen Indiens wurde sie bereits vor 3000 Jahren erwähnt. Im Mittelalter gehörten Blutegel zur therapeutischen Ausstattung der bedeutendsten Ärzte.
Bis zum 19. Jahrhundert war die Behandlung mit Blutegeln auch in Europa weit verbreitet. Doch dann flaute das allgemeine Interesse an der bewährten Blutegeltherapie zugunsten moderner Therapieverfahren immer mehr ab.
So verlor die Blutegeltherapie zwar an Boden, aber keineswegs an Bedeutung. Bei vielen naturheilkundlich ausgerichteten Therapeuten hat diese Heilbehandlung heute wieder ihren festen Platz gefunden.
Die Anzahl jener Therapeuten, die sich auf das Jahrtausende alte Wissen besinnen und die Blutegeltherapie in ihre Behandlung integrieren, wächst stetig. Das ist insofern nicht verwunderlich, als dass die Blutegeltherapie bei vielen Erkrankungen äusserst erfolgreich eingesetzt werden kann.
Blutegel haben 80 Zähne
Blutegel zählen zu den Ringelwürmern und können als erwachsene Egel eine Länge von bis zu 15 cm erreichen. Sie sind vorwiegend in Tümpeln und Teichen zu Hause. Dort ernähren sie sich vom Blut der Frösche, Kröten und Fische. Erwachsene Egel bevorzugen hingegen das Blut von Säugetieren oder Menschen.
Am Körper der Blutegel befinden sich an beiden Enden Saugnäpfe. Mit dem hinteren Saugnapf klammern sie sich an ihrem Wirt fest und im vorderen Saugnapf befindet sich die Mundöffnung, mit der sie tastend nach einer geeigneten Bissstelle suchen.
Im Mund der Egel zeigen sich drei Kiefer, auf denen etwa 80 winzigen Kalkzähnchen verteilt sind. Ausgerüstet mit diesen Werkzeugen können sie dann "kräftig zubeissen".
Glücklicherweise spüren die Gebissenen diesen Biss kaum, denn der Speichel der Egel enthält eine Substanz, die die Bissstelle umgehend betäubt.
Blutegel stehen unter Naturschutz
Es ist allerdings gar nicht so einfach, einem Blutegel beim Baden im Teich zu begegnen, denn aufgrund des ehemals grossen Interesses an diesen kleinen Tierchen waren Blutegel bereits vom Aussterben bedroht. Heute stehen sie unter Naturschutz.
Zur Behandlung von Menschen darf nur eine bestimmte Egelart eingesetzt werden: Der Hirudo medicinalis. Dieser medizinische Egel wird innerhalb geschlossener Zuchtanlagen in speziellen Teichen kultiviert.
Das garantiert, dass die Egel frei von Krankheiten sind, denn nur absolut gesunde Tiere kommen bei der Blutegeltherapie zum Einsatz.
Die Blutegeltherapie zählt zu den Ausleitungsverfahren
Die Blutegeltherapie zählt ebenso wie der Aderlass oder das blutige Schröpfen zu den so genannten Ausleitungsverfahren, bei denen die Ausscheidung eingelagerter Schlacken und anderer Schadstoffe über das Blut forciert wird. Hierdurch wird der gesamte Organismus stark entlastet.
Das, was die Blutegeltherapie jedoch von allen anderen Ausleitungsverfahren unterscheidet, ist die einzigartige Wirkung des Speichelsekrets der kleinen Egel, welches sie während des Saugens ins Blut der Patienten leiten.
Hirudin und Eglin - Die geniale Medizin im Blutegel-Speichel
Wissenschaftler haben über 20 verschiedene Inhaltsstoffe im Speichel der kleinen Tierchen gefunden. Am intensivsten erforscht wurden die Substanzen Eglin und Hirudin.
Eglin ist eine Substanz, die entzündungsauslösende Enzyme in ihrer Aktivität blockiert. Auf diese Weise wirkt sie Entzündungsprozessen entgegen.
Eine weitere wertvolle Eigenschaft des Eglin ist seine schmerzstillende Wirkung, die für viele Patienten eine besonders wertvolle Hilfe darstellt.
Hirudin hingegen hemmt die Blutgerinnung, indem es den Gerinnungsfaktor Thrombin in seiner Wirkung beeinträchtigt, was sich sehr positiv auf die Fliesseigenschaft des Blutes auswirkt. So verhindert Hirudin die Bildung von Thrombosen und hilft bestehende Thromben aufzulösen, so dass eine Emboliegefahr deutlich verringert werden kann.
Zudem wirkt Hirudin gefässkrampflösend, wodurch seine entstauende Wirkung zu erklären ist.
Darüber hinaus fördert es die Bildung der weissen Blutkörperchen (Leukozyten) ebenso wie deren Aktivität. Da Leukozyten eine ganz wichtige Rolle bei der Abwehr von Krankheitserregern spielen, entlastet deren erhöhte Anzahl sowie deren gesteigerte Tätigkeit das Immunsystem erheblich. Diese Eigenschaft bescheinigt Hirudin eine immunstärkende Wirkung.
Zu guter Letzt beschleunigt Hirudin zudem auch noch den Lymphfluss, wodurch die in der Lymphe enthaltenen Schadstoffe schnell zur Ausscheidung gebracht werden. Somit beschleunigt Hirudin die Entgiftung des Körpers.
Die Blutegeltherapie - Wem kann sie helfen?
Die unterschiedlichen Wirkstoffe im Speichel der Blutegel unterstützen den Körper auf vielfache Weise. Und alleine die Wirkungen von Eglin und Hirudin zeigen sehr deutlich, wie vielfältig die Blutegeltherapie eingesetzt werden kann.
Generell ist sie eine ausgezeichnete Therapie bei allen Erkrankungen, denen Durchblutungsstörungen oder Entzündungsprozesse zugrunde liegen.
So hat sich die Blutegeltherapie bei Venenerkrankungen (Besenreisern, Krampfadern, Thrombosen, Hämorrhoiden) und Herz-Kreislauferkrankungen ebenso bewährt wie bei Gelenkerkrankungen (Arthrose, Arthritis, Rheuma, Gicht etc.) oder chronischen Nacken-, Schulter- und Rückenbeschwerden.
Auch bei Leberstau, Lymphstau, Blutergüssen oder Migräne ist die Blutegeltherapie äusserst hilfreich.
Blutegeltheapie – Nicht für jeden
Keinesfalls angewandt werden sollte die Blutegeltherapie bei Menschen, die Blutverdünner, wie Acetylsalicylsäure, Marcumar etc. einnehmen oder allergisch auf den Wirkstoff Hirudin reagieren.
Auch wer zur überschiessenden Narbenbildung neigt, ein stark geschwächtes Immunsystem sei eigen nennt oder unter Blutarmut leidet, sollte von einem Blutegel Abstand nehmen.
Ebenfalls nicht angezeigt ist diese Therapie bei Schwangeren.
Blutegel sind äusserst sensibel
Blutegel sind äusserst geruchs- und temperaturempfindliche Tiere. Daher darf der Patient zwei Tage vor Therapiebeginn die zuvor vom Therapeuten zur Behandlung bestimmten Hautbereiche ausschliesslich mit klarem Wasser waschen und keinesfalls eincremen.
Damit die Temperatur für den Egel angenehm ist, sollte der Therapeut die ausgewählten Hautbereiche vorab mit warmen Kompressen bedecken. Der Patienten sollte während der gesamten Behandlung generell warm gehalten werden.
Neben seiner Sensibilität in Bezug auf Gerüche und Temperatur, ist der Blutegel auch in anderer Hinsicht sehr empfindlich. Er mag keine Hektik, keinen Lärm, keine Erschütterung und kein grelles Licht. Auch diesen hohen Ansprüchen sollte der Therapeut gerecht werden.
Sind die beschriebenen Voraussetzungen nicht gegeben, werden sich die Blutegel nicht wohl fühlen. Ihr Appetit hält sich daher ebenfalls in Grenzen, so dass sie nur sehr zögerlich oder gar nicht anbeissen, was natürlich auch die Wirkung der gesamten Therapie sehr begrenzt.
Nicht alle Körperbereiche sind geeignet
Prinzipiell können Blutegel am ganzen Körper angesetzt werden. Sie werden jedoch niemals direkt über einer Vene, einer Krampfader oder einer Entzündung angesetzt, da es sonst zu starken und anhaltenden Nachblutungen kommen würde.
Ebenfalls ausgeschlossen werden sollten schlecht durchblutete Stellen, offene Wunden und besonders empfindliche Hautstellen, wie Handflächen, Brustwarzen etc.
Über die Anzahl der Blutegel, die für die Therapie benötigt werden, entscheidet der Therapeut individuell. In der Regel werden 2-6 Tiere eingesetzt.
Der Verlauf der Blutegeltherapie
Der Blutegel wird mittels einer Pinzette auf den ausgewählten Hautbereich platziert. Damit er auch in genau diesem Bereich tätig wird und nicht etwa nach anderen Betätigungsfeldern sucht, hält der Therapeut den Egel mit einem umgestülpten Glas in Position.
Hat der Egel schliesslich eine ihm genehme Stelle gefunden, dringt er mit seinen Zähnchen in die Haut ein und gibt seinen Speichel in die Öffnung. Während des gesamten Blutsaugens scheidet der Egel sein Speichelsekret in die Wunde ab.
Diese Prozedur ist für den Patienten nicht schmerzhafter als ein Mückenstich.
Ein Blutegel nimmt zwischen 10 und 20 ml Blut auf, daher wird diese Therapieform oft auch als "Mini-Aderlass" bezeichnet.
Ein Blutegel fällt immer von alleine vom Körper ab, sobald er genügend Blut gesaugt hat. Diese Prozedur kann zwischen 30 und 90 Minuten dauern. Aus diesem Grund sollte der Patient genügend Zeit und Geduld mitbringen, denn der Blutegel darf niemals von der Haut abgerissen werden.
Das könnte zur Folge haben, dass ein Teil seines Kiefers in der Wunde verbleibt und dort eine Entzündung auslöst. Zudem kann das Quetschen des Tieres beim Abreissen Darmbakterien des Egels ins Blut der Patienten befördern, was ebenfalls zur Infektion führen würde.
Sollte es aus irgendwelchen Gründen erforderlich sein, den Egel zu entfernen, kann der Therapeut das Tier mithilfe eines Holzspatels oder eines in Alkohol getränkten Tupfers vorsichtig abnehmen.
Nach der Blutegeltherapie: Nachbluten erwünscht
Nachdem der Egel abgefallen ist, beginnt die Wunde zu bluten. Dieses Nachbluten ist erwünscht und sollte nicht unterbunden werden, denn es erhöht die Wirksamkeit der Blutegeltherapie und hat eine entstauende Wirkung. Ausserdem wird die Wunde durch die Blutung von Keimen befreit.
Zum Abschluss der Behandlung versorgt der Therapeut die Wunde mit einem sterilen und lockeren Verband, der spätestens am Folgetag gewechselt werden muss.
Das Nachbluten dauert in der Regel bis zu 12 Stunden. In Ausnahmefällen kann es auch bis zu 24 Stunden anhalten.
Die durch den Biss entstandene kleine Wunde verheilt innerhalb von einer bis drei Wochen. Nur selten bleibt eine winzige Narbe zurück.
Sollte das dennoch der Fall sein, ist es ratsam, diese bei einem versierten Therapeuten entstören zu lassen.