Gentechnik in der EU unerwünscht
Wird über das Thema "Gentechnik" diskutiert, schrillen bei den meisten Europäern sofort die Alarmglocken. Umfragen zeigen immer wieder aufs Neue, dass die Mehrheit der Bevölkerung in der EU dagegen ist. So sprachen sich beispielsweise rund 80 Prozent der mehr als 2.000 Befragten in der "Naturbewusstseinsstudie 2019" für ein komplettes Verbot von dieser Technik in der Landwirtschaft aus. Dabei spielen ethische Gründe genauso eine Rolle wie der Schutz der Umwelt und mögliche Auswirkungen auf die Gesundheit. ( 1 )
Nichtsdestotrotz setzt sich die Industrie gegen den Willen der Bevölkerung immens ins Zeug, um diesbezügliche Gesetze in der EU aufzuweichen.
Anderswo auf der Welt erhitzt die GVO-Technik weniger die Gemüter. So etwa in den USA, wo die Gegner laut einer internationalen Studie mit 3.698 Teilnehmern lediglich 14 Prozent umfassen. Dies ist auch einer der Gründe, warum sich die Gentechnik in den USA etablieren konnte und diesbezügliche Gesetze alles andere als restriktiv sind. Anders als in der EU bleibt es dort den Lebensmittelproduzenten selbst überlassen zu deklarieren, ob ein Produkt frei von Gentechnik ist oder nicht. ( 2 )
Bevor nun am 5. Juli 2023 offiziell der neue Gesetzesentwurf der EU-Kommission für den Umgang mit Gentechnik präsentiert werden konnte, wurde dieser Entwurf im Netz geleakt. Der Aufschrei war und ist groß!
Gentechnik kurz erklärt
Ob Mikroorganismen, Pflanzen, Tiere oder Menschen: Sie alle haben in ihren Zellen Gene. In diesen Genen befinden sich alle Informationen, die vererbt werden können. Dazu zählen alle möglichen Eigenschaften wie beispielsweise bei Pflanzen die Überlebensfähigkeit des Samens im Boden oder die Augenfarbe von Tieren und Menschen. Die Gesamtheit all dieser Informationen ist das Genom, sprich Erbgut.
Werden nun molekularbiologische Methoden angewandt, wodurch gezielt in das Erbgut eingegriffen wird, handelt es sich um Gentechnik. Dabei wird unterschieden zwischen:
1. Grüne Gentechnik: Veränderungen im Genom einer Pflanze
2. Rote Gentechnik: Anwendungen in der Medizin oder Pharmazie
3. Graue oder weiße Gentechnik: Industrielle Anwendungen (z. B. Herstellung von Enzymen für Waschmittel)
Wenn ein Organismus durch Gentechnik verändert wird, spricht man von einem gentechnisch veränderten Organismus (GVO). ( 3 )
Gentechnik: Vorsorgeprinzip mit Füßen getreten
Laut dem im Juni 2023 geleakten Gesetzesentwurf der EU-Kommission für den Umgang mit Gentechnik soll das jahrzehntelang in der EU geltende Vorsorgeprinzip abgeschafft werden. Dieses Vorsorgeprinzip besagt, dass denkbare Belastungen oder Schäden für die Umwelt oder die Gesundheit im Voraus verhindert oder dezimiert werden müssen. Und das auch dann, wenn die diesbezügliche Wissenslage noch unvollständig ist.
Experten und Kritikern zufolge würde mit der Änderung der bestehenden Gesetze den neuen genomischen Gentechniken (NGT) sowie deren Patentierung ein Freifahrtschein ausgestellt. Zu diesen NGT zählt z. B. die CRISPR/Cas-Methode. Hierbei wird ein DNA-Strang an einer gewissen Stelle durchschnitten und dort gezielt verändert. An der Schnittstelle können einzelne DNA-Bausteine eingefügt, entfernt oder abgewandelt werden. Im Agrar-Presseportal wurde verkündet, dass man ihn förmlich hören könne, den Jubel hinter den Türen der Gentechnik-Industrie. Denn diese habe es nun offensichtlich geschafft, die EU-Kommission von einem spielfreien Aufstieg der neuen Gentechnik in die nächste Runde zu überzeugen. ( 4 )
Sollte der Gesetzesentwurf zum geltenden Gesetz werden, würden alle durch die NGT erzeugten Pflanzen zukünftig in zwei Kategorien eingeteilt werden: eine ohne und eine mit Zulassungsverfahren. Hierbei ist es wichtig zu wissen, dass fast alle NGT-Pflanzen der ersten Kategorie zugeordnet würden und in Folge weder auf Risiken geprüft noch am Endprodukt gekennzeichnet würden.
All das hätte überdies zur Folge, dass es EU-Mitgliedstaaten zukünftig verwehrt wird, den Anbau von genom-editierten Pflanzen nach eigenem Ermessen zu regeln oder einzuschränken. Bioland-Präsident Jan Plagge gab an, dass es absolut inakzeptabel sei, die Mitgliedsstaaten ihrer Souveränität zu berauben und einer nicht gekennzeichneten Gentechnik einen Freibrief geben zu müssen. Den Nutznießern der Gentechnik werde dies natürlich zugutekommen, nicht aber den Menschen in Europa.
Bio weiterhin frei von Gentechnik
Zumindest ein Gutes ist dem Gesetzesentwurf zu entnehmen: Die Bio-Landwirtschaft soll von dieser Technik weiterhin verschont bleiben. Im Ökolandbau geht es nämlich um Nachhaltigkeit und keinesfalls darum, den Fokus auf irgendwelche Gene oder Merkmale zu legen. Ganz im Gegenteil. Denn Bio bedeutet unter anderem, die Komplexität der Wechselwirkungen der Ökosysteme in den Vordergrund zu rücken. ( 4 )
Zu kritisieren ist an dieser Stelle, dass es im Gesetzesentwurf überhaupt nicht zur Sprache kommt, wie Gentechnikfreiheit in der Praxis zukünftig funktionieren soll. Es wird zwar auf die Möglichkeit verwiesen, das Saatgut zu kennzeichnen, mehr aber schon nicht. Laut Olaf Bandt, BUND-Vorsitzender, werden Fragen zur Koexistenz von GVO und Nicht-GVO einfach an die EU-Mitgliedsstaaten verwiesen. Die Überforderung der Bio-Bauern und auch der konventionellen Betriebe, die keine Gentechnik einsetzen wollen, sei jetzt schon vorprogrammiert. Doch damit nicht genug! ( 5 )
Die Patentierung bleibt offen
Es steht außer Zweifel, dass die neue Gentechnik Patente geradezu befeuert. Und das nicht nur in Hinblick auf Pflanzensorten, sondern auch auf genetische Eigenschaften (z. B. Resistenzeigenschaften von Wildsorten). Trotzdem wird im geleakten Gesetzesentwurf die Patentierung einfach außen vorgelassen. Laut Bioland-Präsident Jan Plagge gehe es vor allem um ein sehr lukratives Geschäftsmodell für Agrochemie-Konzerne. ( 4 )
Den Lobbyisten zufolge handelt es sich bei den neuen genomischen Gentechniken wie CRISPR/Cas um nichts anderes als um herkömmliche Züchtung. Jan Plagge gab an, dass es sich im Gegensatz zur klassischen Züchtung sehr wohl um (gen)technische Verfahren handle, was für die Konzerne schließlich essentiell sei. Und zwar aus dem einfachen Grund, dass pflanzliche Eigenschaften nur dann patentiert werden können, wenn die Erzeugung durch ein technisches Verfahren möglich ist. Das hat dann aber zur Folge, dass alle Sorten – also auch die herkömmlich gezüchteten mit diesen patentierten Eigenschaften – unter das Lizenzsystem der Agrochemie fallen.
Wird dieser Gesetzesentwurf nun tatsächlich durchgewunken, wird es in der EU zu einer Flut von patentiertem Saatgut kommen, die einerseits gentechnisch verändertes, andererseits aber auch konventionelles Saatgut umfassen wird. Die Abhängigkeit der landwirtschaftlichen Betriebe von riesigen Konzernen ist jetzt schon eklatant. Sollte nun aber auch noch der Markteintritt von patentiertem Saatgut und somit die Monopolisierung von Saatgut von der EU gefördert werden, wird den Großkonzernen Tür und Tor geöffnet, um endgültig die Kontrolle über unser Ernährungssystem zu übernehmen. ( 6 )
Gentechnik in Lebensmitteln geht uns alle etwas an!
Für Laien ist die GVO-Technik selbstverständlich eine schwere Kost. Nichtsdestotrotz geht uns dieses Thema alle an. Denn auf alle Pflanzen, die mit neuen gentechnischen Verfahren hergestellt werden können, kann ein Patent angemeldet werden. Diejenigen, welche die Patente anmelden, erhalten die Macht, die Vielfalt des Angebots zu bestimmen. Patente auf Saatgut sind eine Bedrohung für unsere Ernährungssicherheit. Die Wahlfreiheit der Konsumenten und Produzenten kann mit Kalkül eingeschränkt werden, auch um eine Erhöhung der Lebensmittelpreise zu bewirken. Darum wäre ein Aufweichen der bestehenden Gesetze ein weiterer Schritt in die falsche Richtung.
Vielleicht hat das Leaken des Gesetzesentwurfs auch etwas Gutes bewirken können. Schließlich wurden dadurch zahlreiche Gentechnik-Gegner auf den Plan gerufen, um die Öffentlichkeit schon im Vorfeld von dem Vorhaben zu informieren und sich ihm geeint entgegenstellen zu können. Die EU-Kommission weiß nun am 5. Juli 2023 bei Präsentation des Gesetzesentwurfs, dass der Gegenwind nicht unterschätzt werden sollte.