Zentrum der Gesundheit
  • Laborantin untersucht Krebsmedikamente
5 min

Gefährliche Krebsmedikamente

Krebsmedikamente, die im Off-Label-Use verordnet werden, erwiesen sich für die Mehrzahl der Patienten als schädlich, während sie sich nur für eine Minderheit als (zumindest kurzfristig) hilfreich erwiesen haben. Das jedenfalls ergab eine im Fachmagazin Journal of Clinical Oncology veröffentlichte Studie des medizinischen Instituts der Duke University in North Carolina, USA.

Fachärztliche Prüfung: Gert Dorschner
Aktualisiert: 13 August 2023

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Verordnung von Medikamenten ohne Zulassung

In den USA dürfen Ärzte jedes beliebige Medikament für jede beliebige Krankheit verschreiben. Sie dürfen also auch dann ein Medikament bei einer Krankheit verordnen, wenn das Medikament für diese Krankheit gar nicht zugelassen ist.

Ein Medikament, das beispielsweise ausschliesslich für die Indikation Bluthochdruck zugelassen ist, kann demnach - wenn der Arzt das für richtig erachtet - auch bei Magenproblemen verschrieben werden. Das bedeutet, für dieses Medikament gibt es im Zusammenhang mit Magenproblemen nicht die geringsten Studien und/oder Versuchsreihen.

Auch kennt man die bei Magenproblemen erforderliche Dosis nicht. Dennoch darf der Arzt eine solche ungewisse und risikobehaftete Verordnung nach eigenem Ermessen durchführen.

Und so werden etwa 20 Prozent aller Rezepte in den Vereinigten Staaten off-label verschrieben. Diese Medikamente werden zur Behandlung von Erkrankungen eingesetzt, für die sie ursprünglich nicht zugelassen wurden.

Sie werden teilweise auch in Dosierungen verordnet, die höher sind als jene, für die sie zugelassen wurden. Oder aber sie werden einer Personengruppe verabreicht (z. B. Kindern), für die sie ebenfalls nicht zugelassen wurden.

Krebstherapien zu 50 Prozent mit Off-Label-Medikamenten

In Deutschland ist Off-Label-Use ( 1 ) ebenfalls an der Tagesordnung, unterliegt jedoch gewissen Einschränkungen. Damit Arzneimittel von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden, dürfen sie im Off-Label-Use nur dann verordnet werden, wenn es sich um eine schwere Krankheit handelt, für die derzeit keine offizielle Therapiemöglichkeit besteht und wenn Daten vorliegen, die einen Behandlungserfolg in Aussicht stellen.

Nach Absprache mit dem Patienten aber kann der Arzt das Medikament auch dann verschreiben, wenn diese Vorgaben nicht erfüllt werden. Nämlich dann, wenn der Patient bereit ist, die Kosten selbst zu tragen oder eine Sondervereinbarung mit seiner Krankenkasse getroffen hat.

Bei der Behandlung von Krebs werden bereits 50 Prozent aller Medikamente off-label verabreicht.

Off-Label-Medikamente Ritalin® und Avastin®

Ein bekanntes Off-Label-Medikament ist beispielsweise Methylphenidat (z. B. Ritalin®), wenn es sich beim Patienten um einen Erwachsenen handelt. Das Medikament ist nur für Kinder zugelassen, nicht aber für Erwachsene. Auch das Krebsmedikament Bevacizumab (Handelsname Avastin®) wird off-label verordnet, nämlich bei bestimmten Augenleiden (u. a. bei einer besonderen Form der altersabhängigen Makuladegeneration).

Bevacizumab wurde eigentlich für fortgeschrittenen Darmkrebs, für inoperablen Lungenkrebs, metastasiertem Brustkrebs und einige andere Krebsformen entwickelt. Da verschiedene Studien aber darauf hindeuten, dass mit Bevacizumab behandelte Krebs-Patienten eine höhere Sterblichkeit aufweisen, werden in Grossbritannien die Therapiekosten (mehrere 10.000 Euro) nicht vom staatlichen Gesundheitsdienst übernommen.

Auch die amerikanische Arzneimittelzulassungsbehörde FDA ist in Bezug auf Bevacizumab skeptisch und entzog dem Medikament im Juli 2010 die Zulassung für einen Einsatz bei Brustkrebs.

Wir fassen zusammen: Zwar soll das Mittel also ganz prima bei soliden Tumoren wirken, aufgrund der lebensgefährlichen Nebenwirkungen jedoch scheint der Krebs-Patient diese fantastische Anti-Tumor-Wirkung nicht mehr allzu oft zu erleben. Bevacizumab gilt folglich bereits in den zugelassenen Bereichen als höchst gefährlich, es unter diesen Umständen auch noch off-label zu verordnen, dürfte sicher nicht allen, aber doch manchen Menschen äusserst fragwürdig erscheinen.

Versuchskaninchen Mensch

Der Off-Label-Use von Medikamenten kommt also einem echten Experiment gleich, bei dem nicht die Ratte das Versuchskaninchen ist, sondern der Mensch und in den allermeisten Fällen auch noch der bereits sehr kranke Mensch, der verzweifelt auf Hilfe hofft - auch wenn das Risiko gross ist, durch entstehende Nebenwirkungen noch kränker zu werden oder gar zu sterben.

Von einem Medikamenten-Einsatz ausserhalb des bei der Zulassung genehmigten Gebrauchs sei daher in den meisten Fällen besser Abstand zu nehmen, so Forschungsleiter Jeffrey Peppercorn. Es sollte klinischen Versuchsreihen vorbehalten bleiben, Medikamente für neue Anwendungsgebiete oder in neuen Dosierungen zu testen.

Zeit- und Kostengründe verhindern klinische Tests

Nun kann es aber - abgesehen von den zusätzlichen Kosten - viele Jahre dauern, bis alle erforderlichen klinischen Tests abgeschlossen sind, die zu einer Zulassung des Medikaments auch für ein anderes Anwendungsgebiet führen könnten. Schwerkranke Patienten haben jedoch nicht mehr die Zeit, um auf Zulassungen zu warten.

Daher entscheiden sich besonders in der Onkologie die Ärzte für den Off-Label-Use von Medikamenten. Sie verschreiben Medikamente gegen Krebs, ohne auf die ausstehenden Studienergebnisse zu warten.

Medikamente mit lebensbedrohlichen Nebenwirkungen

Jeffrey Peppercorns Studie ( 2 ) nun untersuchte die Ergebnisse von 172 verschiedenen Krebsmedikamenten-Tests und stellte fest, dass nur ein Drittel der in diesen Versuchsreihen getesteten Medikamente die Überlebensrate der Patienten verbessern konnte. Die übrigen zwei Drittel jedoch zeigten, dass die Medikamente mindestens eine schwere oder gar lebensbedrohliche Nebenwirkung mit sich brachten ( 1 ).

Laut Peppercorn könne jedoch davon ausgegangen werden, dass die Zahl der schädlichen Medikamente sogar noch höher sei, da negative Testergebnisse in der Regel nicht veröffentlicht werden und daher auch nicht in die Studie mit einbezogen werden konnten.

Patienten kränker durch Off-Label-Medikamente

Viele dieser Medikamente bringen nicht den medizinischen Fortschritt, den wir uns von ihnen versprochen hatten,

erklärte Otis Brawley von der American Cancer Society, der nicht einmal an der Studie beteiligt war.

Die Menschen müssen begreifen, dass über Off-Label-Medikamente zu vieles noch unbekannt ist und dass es Patienten gibt, die von diesen Medikamenten noch mehr geschädigt werden, als sie es sowieso schon sind.

Off-Label-Use verhindert medizinischen Fortschritt

Dummerweise kann der Off-Label-Use nicht zugelassener Medikamente sogar den Fortschritt geradezu verhindern. Die Erforschung effektiver Heilmittel verlangt ausführliche klinische Tests mit Freiwilligen. Wenn Medikamente aber Off-Label verschrieben werden, der Patient das für einen bestimmten Zweck noch nicht zugelassene Medikament aber problemlos von seinem Arzt erhalten kann, dann wird sich dieser Patient sicher nicht für einen klinischen Test melden - zumal bei klinischen Tests die Wahrscheinlichkeit, zur Placebo-Gruppe zu gehören auch noch bei etwa 50 Prozent liegt.

Off-Label-Use sorgt also dafür, dass es immer schwieriger wird, freiwillige Patienten für klinische Tests zu rekrutieren, so dass sich die mögliche Zulassung der Medikamente für neue Anwendungsgebiete immer weiter verzögert.

Patienten bleiben auf der Strecke

Statt jedoch nun den Off-Label-Use zu unterbinden und gleichzeitig klinische Tests zu forcieren, um möglichst bald allumfänglich über Wirkung und Nebenwirkung der entsprechenden Medikamente und über ihre wirklich hilfreichen Einsatzmöglichkeiten informiert zu sein, ist man in der EU gerade dabei, die Zulassungsregelungen für Arzneimittel zu vereinfachen - was zwar der Pharmaindustrie sicher gelegen kommt, den Patienten aber wieder nicht den erhofften Schutz vor unzureichend getesteten Medikamenten bieten wird.

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Wichtiger Hinweis

Dieser Artikel wurde auf Grundlage (zur Zeit der Veröffentlichung) aktueller Studien verfasst und von MedizinerInnen geprüft, darf aber nicht zur Selbstdiagnose oder Selbstbehandlung genutzt werden, ersetzt also nicht den Besuch bei Ihrem Arzt. Besprechen Sie daher jede Massnahme (ob aus diesem oder einem anderen unserer Artikel) immer zuerst mit Ihrem Arzt.