Kränkung hat für jeden Menschen eine andere Bedeutung
Praktisch jedes menschliche Verhalten, jede Gefühlsäusserung und jedes Wort kann als kränkend empfunden werden. Jedoch nimmt jeder Mensch etwas anderes und in unterschiedlichem Ausmass als verletzend wahr. Dies ist davon abhängig, wie anfällig oder resistent jemand gegenüber Geringschätzung, Missachtung, Entwertung und Verletzungen ist.
So kann es sein, dass manche Menschen schon durch die unfreundliche Miene des Gegenübers, eine abwertende Geste oder einen nicht erwiderten Gruss gekränkt sind, während sich andere selbst durch grobe Beschimpfungen oder Verspottungen unberührt zeigen. Die unterschiedliche Wahrnehmung von Kränkungen ist auch der Grund, warum diese oft unbewusst und vom Gegenüber nicht gewollt entstehen können.
Wann wir uns gekränkt fühlen
Ob ein beleidigendes Wort, eine abwertende Geste oder ein schiefer Gesichtsausdruck als verletzend empfunden werden und wie schlimm diese Verletzung für den Gekränkten ist, hängt von der gesamten Situation ab:
- Welchen Stellenwert hat der Kränkende für den Gekränkten; ist dieser ein geliebter und nahestehender Mensch oder spielt dieser keine Rolle im Leben des Gekränkten? Hier gilt: Je wichtiger, nahestehender und vertrauter der Kränkende ist, desto mehr Bedeutung haben auch seine (kränkenden) Äusserungen für den Gekränkten.
- Auch die Sensibilität des Gekränkten und dessen empfindliche Stellen tragen wesentlich zur Entstehung von Kränkungen bei. Das müssen gar nicht die berühmten wunden Punkte sein, sondern kann durchaus positiv besetzte Bereiche betreffen. Dazu zählen all jene Dinge, die besondere Wichtigkeit für den Gekränkten haben. Oft sind es jedoch auch Narben, die wieder aufbrechen oder schmerzhafte Erinnerungen, an die gerührt wird.
- Ganz wesentlich wird die Wirkung einer Kränkung zudem vom emotionalen Hintergrund bestimmt, vor dem sich der Kränkungsprozess abspielt. So sind Beschimpfungen, die dem anderen während eines Streites an den Kopf geworfen werden, viel leichter zu vergeben als eine ohne Gefühlsregung vorgebrachte Geringschätzung.
Manche Menschen sind besonders anfällig für Kränkungen
Wichtig vorweg zu erwähnen ist, dass kein gesunder Mensch „unkränkbar“ ist. Ein Unterschied besteht jedoch in der Anfälligkeit für Kränkungen. Diese ist abhängig von der aktuellen Verfassung, sei es der körperlichen oder der psychischen, der Stimmung, den Vorerfahrungen und Traumatisierungen, dem Geschlecht, dem Alter und noch vielem mehr.
Besonders anfällig für Kränkungen sind Menschen mit Selbstwertzweifeln und Minderwertigkeitsgefühlen. Hingegen sind Menschen mit hohem Selbstbewusstsein und gesundem Stolz viel weniger kränkbar. Auch hochsensible Menschen, die Verletzungen sowohl viel intensiver erleben aber auch länger daran hängenbleiben als der Durchschnitt, sind sehr empfindlich gegenüber Kränkungen.
Nicht zuletzt zu erwähnen sind narzisstische Menschen, die sich dadurch auszeichnen, dass sie sich nur für sich selbst interessieren und nicht fähig sind, sich in andere Menschen hineinzufühlen. Spannend bei diesen Persönlichkeiten ist die Tatsache, dass sie trotz ständiger Entwertung und Kränkung ihrer Mitmenschen selbst sehr empfindlich auf Verletzungen reagieren und diese oft auch nicht mehr verzeihen.
Kränkungen schwächen das Immunsystem
Viele Menschen sind regelmässig Kränkungen ausgesetzt, sei es durch die Arbeit, durch die Partnerschaft oder andere Lebensbereiche. Dieses ständige Erleben von Kränkungen ist mit chronischem Stress gleichzusetzen und fördert Entzündungsreaktionen im Immunsystem. Zahlreiche Studien belegen bereits den negativen Einfluss von Stress auf das Immunsystem ( 2 ).
Beispielsweise erkrankten Mäuse, die von ihrer Gruppe isoliert wurden und damit emotionalem und sozialem Stress ausgesetzt waren, an einer Lungenentzündung, wenn die entsprechenden Bakterien in ihrem Umfeld waren. Bei den Mäusen, die in ihrer Gruppe bleiben durften, war das hingegen nicht der Fall. Auch bei Menschen konnte Ähnliches beobachtet werden. So war bei jenen, die sich einsam fühlten und damit psychosozialem Stress ausgesetzt waren, eine erhöhte Anfälligkeit für Infektionen zu erkennen ( 3 ).
Kränkungen als Ursache körperlicher und psychischer Erkrankungen
Natürlich haben komplexe Krankheitsbilder wie beispielsweise Essstörungen immer verschiedene Ursachen. Kränkungen können jedoch eine Teilursache und auch der Auslöser sein. Der Psychiater Univ.-Prof. Reinhard Haller berichtet von einem eindrucksvollen Fall, bei dem die scheinbar harmlose Bemerkung „Friss nicht so viel“ des Vaters zu seiner 16-jährigen Tochter beim Abendessen dazu führte, dass diese bald nur noch aus Haut und Knochen bestand und eine Essstörung entwickelte.
Eine bedeutende Rolle spielen Kränkungen auch bei somatoformen Störungen, welche praktisch alle Körperregionen betreffen können. Somatoforme Störungen sind seelisch verursachte körperliche Störungen, denen also keine organische Ursache zugrunde liegt.
Kränkungen können sich beispielsweise auf der Haut durch Ausschläge oder Akne, jedoch auch durch Rückenprobleme äussern. Rückenschmerzen haben Untersuchungen zufolge in 40 Prozent der Fälle keine organische Ursache, sondern sind vor allem auf Kränkungen und andere psychische Belastungen zurückzuführen.
Auch bei Süchten scheinen Kränkungen massgeblich beteiligt zu sein. Es konnte beobachtet werden, dass die meisten Süchtigen an nicht überwundenen Verletzungen leiden. Dabei versuchen diese, die Wunden mithilfe berauschender Substanzen oder hemmungslosem Verhalten (z. B. Spielen oder Kaufen) zu betäuben.
Kränkungen können auch Burnout, Depressionen und Angststörungen begünstigen und in manchen Fällen zur Verbitterung führen. Vor allem dann, wenn wir Enttäuschungen in Lebensbereichen erfahren, die uns besonders wichtig sind und in die wir viel Energie investiert haben; sei es der lang ersehnte Job, der schlussendlich an jemand anderen vergeben wurde oder das Gefühl, als Mutter versagt zu haben ( 4 ).
Wie Sie am besten mit Kränkungen umgehen
Kränkungen sind keine plötzlich auftretenden Emotionen wie Ärger oder Zorn. Sie entwickeln sich schleichend, vergleichbar mit einem chronischen Leiden, haben anhaltende Wirkung und prägen sich, manchmal unbewusst, tief in unser emotionales Gedächtnis ein. Um negative Auswirkungen auf Körper und Psyche zu vermeiden, ist es besonders wichtig, sich mit Kränkungen auseinanderzusetzen.
Sprechen Sie den Kränkenden auf die Situation an
Oft ist dem Kränkenden gar nicht bewusst, dass er durch sein Verhalten, durch ein Wort oder eine Geste eine Verletzung beim Gegenüber verursacht hat. Sprechen Sie daher den Menschen, der sie gekränkt hat, auf die Situation an, und teilen Sie diesem mit, was genau Sie als verletzend empfunden haben. So können die Kränkungen teilweise an Wirkkraft verlieren, genauso wie es bei Emotionen der Fall ist, die in Worte gekleidet und nicht unterdrückt und verschwiegen werden.
Im schlimmsten Fall war die Kränkung ernst gemeint oder der Kränkende reagiert unsensibel auf ihre Gefühlsäusserung, doch dann haben Sie sich Ihren Ärger oder Ihre Enttäuschung wenigstens von der Seele geredet und Ihre Gefühle nicht verdrängt.
Am besten formulieren Sie dies in einer „Ich-Botschaft“, z. B. „Ich fühle mich von dir gekränkt, weil du meinen Geburtstag vergessen hast“, um dem Gegenüber nicht die Schuld in die Schuhe zu schieben, sondern lediglich die eigenen Gefühle auszudrücken.
Betrachten Sie die Kränkung aus der Ferne
Versuchen Sie Abstand zur Kränkungsbotschaft zu gewinnen und diese nüchtern zu betrachten und zu analysieren. Was möchte mir der Mensch, von dem ich mich gekränkt fühle, mitteilen? Was will er bei mir bewirken? Und warum habe ich mich dadurch so gekränkt gefühlt? Denn so ungerecht und verletzend wir eine Kränkung auch empfinden, sollten wir uns doch vor Augen halten, dass Aussagen, die treffen, manchmal auch ein Stück Wahrheit enthalten.
So könnte die Aussage des Partners „Immer kommst du zu spät!“ als kränkend empfunden werden, da möglicherweise auch im Job schon Probleme aufgrund des Zuspätkommens bestehen, man es jedoch einfach nicht schafft, rechtzeitig aus dem Haus zu kommen.
Versuchen Sie, diese Aussagen Ihrer Mitmenschen als Chance zu betrachten, sich Ihrer wunden Punkte bewusst zu werden. Vielleicht sind es Bereiche, die Ihnen bisher noch nicht bekannt waren oder die Sie verdrängt hatten. Auch vom Kränkenden lernen Sie möglicherweise eine neue Seite seiner Persönlichkeit kennen und sehen sein „wahres Gesicht“.
Schreiben oder sprechen Sie über die Kränkung
Oft gelingt es besser, die Kränkung mit Abstand zu betrachten, indem man aufschreibt, was einen kränkt oder dies auch mit sich selbst im inneren Dialog bespricht. Am wirksamsten ist es jedoch, wenn Sie mit einer aussenstehenden Person darüber sprechen.
Versetzen Sie sich in die Position des Kränkenden
Auch wenn es schwierig ist, Verständnis für das kränkende Verhalten aufzubringen, ist es hilfreich, eine Zeit lang in die Haut des Kränkenden zu schlüpfen, um mögliche Beweggründe für sein Verhalten zu finden und sein Fühlen und Denken besser nachvollziehen zu können. Was hat ihn dazu bewogen, mich zu kränken und war ihm überhaupt bewusst, dass er mich damit verletzt? Was möchte er mit der Kränkung sagen und welche Probleme hat er im Hintergrund, die ihn vielleicht dazu veranlasst haben?
Stärken Sie Ihr Selbstwertgefühl
Da Kränkungen dazu führen, dass der Selbstwert angegriffen wird, ist es dabei besonders wichtig, sich um sich selbst zu kümmern und seinen Selbstwert zu stärken. Denn ein positives Selbstwertgefühl ist die wichtigste Voraussetzung für psychische Gesundheit. Hier ein paar Tipps dazu:
- Seien Sie freundlich, liebevoll und akzeptierend zu sich und behandeln Sie sich selbst, wie ein guter Freund dies tun würde
- Gehen Sie achtsam mit sich um und machen jeden Tag etwas für sich, sei es lesen, ein Bad nehmen oder Sport machen
- Loben Sie sich selbst und seien Sie stolz auf das, was Sie geschafft haben
- Nehmen Sie das Positive in Ihrem Leben wahr und seien Sie dankbar dafür
- Pflegen Sie positive Beziehungen, die Ihnen guttun
Kränkungen loslassen und verzeihen
Wurden Sie von einem geliebten Menschen belogen, zurückgewiesen oder enttäuscht, befreien Sie sich aus der destruktiven Grübelei über die kränkende Situation, ziehen Sie einen Strich unter die Vergangenheit und richten Sie den Blick nach vorne. Auch wenn es der schwerste Weg sein mag: Verzeihen Sie dem Kränkenden sein verletzendes Verhalten, denn so entziehen Sie diesem die Macht, die er über Sie hat und tun auch sich selbst etwas Gutes.
Forschungen zeigten, dass bei Menschen, die verzeihen konnten, Stresssymptome wie Bluthochdruck und Puls zurückgingen und Kopfschmerzen, Schwindel und Muskelverspannungen abnahmen. Ausserdem fühlten diese sich optimistischer, weniger müde und vitaler ( 6 ).
Hier ein paar Tipps, wie Ihnen das Verzeihen leichter gelingt:
- Versetzen Sie sich in schöne Momente zurück und erinnern Sie sich daran, was Sie an dem Menschen schätzen, der Sie verletzt hat
- Nehmen Sie die Perspektive der Person ein, die Sie gekränkt hat und versuchen Sie nachzuvollziehen, warum derjenige so gehandelt hat
- Treffen Sie die bewusste Entscheidung, dem Kränkenden zu verzeihen und vergegenwärtigen Sie sich, welche Vorteile damit verbunden sind
- Lassen Sie die negativen Gedanken bewusst los und widmen Sie sich wieder positiven Dingen; Menschen, die Ihnen guttun und positiven Erlebnissen, die Ihr Leben bereichern
- Geben Sie sich die Zeit, die Sie brauchen, um die Kränkung zu verzeihen. Vor allem ein Vertrauensverlust braucht neue Erfahrungen und Beweise, um wieder Vertrauen wachsen zu lassen
Reagieren Sie mit Humor
Macht Ihr Kollege beispielsweise eine abfällige Bemerkung über Ihr Chaos am Arbeitsplatz, lachen Sie darüber, denn dies wirkt wie ein Abwehrschild gegenüber Kränkungen. Auch eine humorvolle Antwort („Wenn du das als chaotisch empfindest, solltest du erstmal meine Wohnung sehen!“) oder eine Begegnung mit freundlicher Ironie („Wie feinfühlig du mal wieder bist“) kann die Situation entspannen.
Distanzieren Sie sich von kränkenden Menschen
Müssen Sie sich Tag für Tag Kritik von einem Menschen in Ihrem Umfeld anhören, schützen Sie sich selbst, indem Sie die gemeinsame Zeit soweit wie möglich einschränken oder den Kontakt abbrechen. Dies mag besonders schwierig sein, wenn es sich um den Partner oder Chef handelt, doch vor allem bei Narzissten kann manchmal auch Trennung/Kündigung eine Lösung sein, um keine psychischen und körperlichen Schäden davonzutragen. Zum Thema Narzissmus und wie man mit narzisstischen Mitmenschen umgeht, finden Sie im nachfolgenden Link Empfehlungen: So sollten Sie einem Narzisst entgegentreten.
Weitere Möglichkeiten zur Unterstützung bei Kränkungen
Neben der Auseinandersetzung auf psychischer Ebene kann es auch hilfreich sein, den Körper dabei zu unterstützen, besser mit Kränkungen zurechtzukommen.
Stärken Sie Ihr Immunsystem
Ständige Kritik und Kränkungen können zu chronischen Entzündungen im Immunsystem führen. Unterstützen Sie daher Ihr Immunsystem so gut wie möglich mit gesunder Ernährung, ausreichend Schlaf und Bewegung oder Entspannungsmethoden, um Stress abzubauen. Auch Waldspaziergänge und das bewusste Geniessen und Erleben der Natur (das sogenannte „ Waldbaden“) führt zur Stärkung des Immunsystems.
Lesen Sie über weitere Möglichkeiten in unserem Artikel So stärken Sie Ihr Immunsystem
Homöopathie bei Kränkungen
Sehr häufig wird bei Kränkungen das homöopathische Mittel Staphisagria empfohlen. Es ist geeignet für Beschwerden, die durch Ärger, Kränkung oder Kummer verursacht werden. Das können beispielsweise Bauch- und Magenbeschwerden oder Hautausschläge sein. Staphisagria-Patienten reagieren sehr empfindlich auf Beleidigungen und Kränkungen, sind sanftmütig und unterdrücken ihre Gefühle, die irgendwann durch heftige Wutausbrüche nach aussen treten.
Auch Natrium chloratum, Pulsatilla und Ignatia sind bei Menschen geeignet, die sehr empfindlich auf Kränkungen reagieren. Lac caninum hingegen kann helfen, wenn viel Kränkung und Demütigung in der Kindheit erfahren und sich selten zur Wehr gesetzt wurde ( 7 ) ( 8 ).
Bei der Selbstbehandlung wird empfohlen, die Potenz C12 zu verwenden. 2-3 Globuli können bis zu vier Mal am Tag eingenommen werden. Lassen Sie diese im Mund zergehen und essen und trinken Sie am besten 15 Minuten vor und nach der Einnahme nichts ( 9 ).