Übergewicht, weil Essen süchtig macht
Essen scheint für viele Menschen eine Art Sucht zu sein. Genau wie der Kreislauf aus Essen und nachfolgenden Diäten. Denn immer wieder werden die unterschiedlichsten Diäten ausprobiert, um dem ersehnten Idealgewicht näher zu kommen. Dabei weiss man doch längst: Ob Kohlsuppendiät, Atkins oder Low-Carb: Meist sind Diäten zum Scheitern verurteilt.
Laut Helmut Heseker, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), bringen 80 bis 90 Prozent aller Abnehmprogramme überhaupt keinen Erfolg – im Gegenteil! Die meisten Menschen wiegen aufgrund des gefürchteten Jo-Jo-Effekts wenige Wochen danach sogar mehr als zuvor.
Seit einiger Zeit beschäftigt sich auch die Hirnforschung vermehrt mit der Frage, warum es nur ein sehr geringer Anteil der Übergewichtigen schafft, das Normalgewicht zu erreichen und es auch auf Dauer zu halten. Die Zurückhaltung beim Essen scheint ähnlich schwierig zu sein wie – bei anderen Menschen – die Zurückhaltung in Gegenwart von Alkohol, Kaffee, Nikotin oder noch härterer Drogen. Ist Essen eine Sucht?
Wissenschaftler der University of Granada in Spanien und der Monash University in Australien sind dieser Frage nun auf den Grund gegangen und haben herausgefunden, dass im Zusammenhang mit dem Essen bei Normalgewichtigen andere Hirnareale aktiviert werden als bei Übergewichtigen.
An der Studie nahmen insgesamt 81 Personen teil, die durchschnittlich 33 Jahre alt waren. Davon waren 39 von Übergewicht bzw. Adipositas betroffen und 42 waren normalgewichtig.
Zunächst wurden alle Probanden zu einem Buffet geführt und konnten all das essen, worauf sie gerade Lust hatten. Auf diese Weise konnten die Forscher aufzeichnen, wer nach kalorienreichen Gerichten (z. B. Pasta oder Pommes) griff und wer sich für gesunde Speisen mit einer günstigen Energiebilanz (z. B. grüner Salat oder Gemüseeintopf) entschied.
Zu einem späteren Zeitpunkt wurden den Studienteilnehmern Fotos der Speisen gezeigt, um eine Heisshungerattacke zu stimulieren. Währenddessen wurde die Hirnaktivität mithilfe der funktionellen Magnetresonanz-Tomografie (fMRT) aufgezeichnet.
Das Gehirn Übergewichtiger ist oft süchtig
Das Forscherteam stellte fest, dass das Gehirn der übergewichtigen Studienteilnehmer anders auf die Essensbilder reagierte als das der normalgewichtigen. Bei ihnen war die Verknüpfung zwischen dem für Wahrnehmungen zuständigen Bereich des Gehirns und dem Belohnungssystem im Gehirn deutlich aktiver.
Im Belohnungszentrum sorgen die beiden Botenstoffe Dopamin und Serotonin dafür, dass ein genussvolles Essen entspannt und glücklich macht – genauso, wie eine Zigarette beim Raucher oder ein Drink beim Alkoholiker wirkt.
Problematisch wird die ganze Sache natürlich erst dann, wenn ein Gewöhnungseffekt entsteht. Wer sich also regelmässig mit Essen belohnt, beispielsweise um sich von Stress und Kummer abzulenken, benötigt nach und nach immer mehr davon, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Nicht selten entsteht dabei aber auch Übergewicht – besonders deshalb, weil sich zur Belohnung offenbar viel eher kalorienreiche Lebensmittel eignen als gesunde vitaminreiche Dinge. Denn wer isst schon einen Salat, wenn er traurig ist?
Deshalb fällt das Abnehmen so schwer
In der Hirnforschung wird schon seit längerem die Auffassung vertreten, dass das Belohnungszentrum im Gehirn etwas mit der übersteigerten Gier nach Essen zu tun haben könnte – so wie es auch bei der Gier nach Drogen der Fall ist. Oft auftretende Heisshungerattacken kämen somit einer Sucht gleich.
So gibt es beispielsweise Hinweise darauf, dass das Gehirn von Kindern mit Übergewicht stärker auf Zucker reagiert und sie aus diesem Grund Süssigkeiten nicht widerstehen können.
Es steht jedenfalls fest, dass die Fresslust in derselben Hirnregion zuhause ist, wo auch der Drogenkick stattfindet. Deshalb zeigt das Belohnungszentrum von Menschen mit Übergewicht ähnliche Reaktionsmuster wie das von Suchtkranken. Dies verdeutlicht, dass gescheiterte Ernährungsumstellungen und Übergewicht nicht einfach auf einen Mangel an Willenskraft zurückgeführt werden können, sondern auch auf eine krankhafte Abhängigkeit hindeuten. So könnte man der Sucht nach Essen entkommen?
Die Sucht nach Essen hinter sich lassen
Der einzige Weg, um nachhaltig abzunehmen, ist und bleibt eine dauerhafte Ernährungsumstellung. Das bedeutet: Schluss mit Fast Food und Co! Doch gerade da liegt ja das Problem: Die Rückfallquote ist gigantisch.
Denn genau wie in beschriebener Studie schon allein die Fotos der Speisen Heisshungerattacken auslösten, so wird man heutzutage überall mit optischen Reizen konfrontiert, die die Fresslust anheizen sollen. Fast-Food-Ketten werben nicht grundlos mit Plakaten und Leuchtreklametafeln, worauf riesenhafte Burger abgebildet sind. Wenn wir in den Supermarkt gehen, werden wir mit Tausenden Verpackungen und Bildern konfrontiert, die Heisshunger auslösen können – von der TV-Werbung ganz abgesehen.
Wer sein Gewicht in den Griff bekommen möchte, sollte deshalb zunächst einmal für einige Monate Einkaufszentren, Restaurants und Supermärkte meiden und nur dort einkaufen, wo zumindest der Grossteil des Angebots gesunde Lebensmittel umfasst, z. B. Obst- und Gemüseläden, Bauernmärkte sowie Bio-Geschäfte. Denn Übergewichtige reagieren hierbei ähnlich wie Drogenabhängige, die weiterhin Orte aufsuchen, wo Drogen angeboten werden. Zudem sollten alle ungesunden Nahrungsmittel, die in der Küche und Vorratskammer lagern, ausnahmslos entfernt werden.
Wird das Gehirn für einen längeren Zeitraum von den Lockreizen befreit, die sowohl von Abbildungen, aber auch von den Zusatzstoffen in den problematischen Lebensmitteln ausgehen (Glutamat, Zucker), kann auch die Fresslust dauerhaft reduziert werden.
Wenn Sie mehr über die Zusammenhänge zwischen Fast Food und Sucht in Erfahrung bringen möchten, finden Sie hier weitere interessante Informationen.