Forscher passen Studienergebnisse an
Wissenschaftler des Comprehensive Cancer Center der Universität Michigan (U-M) (*) veröffentlichten kürzlich in der Online-Version der Zeitschrift Cancer ( 1 ) eine Analyse, die belegt, dass eine grosse Anzahl klinischer Krebsstudien, die in bekannten medizinischen Fachzeitschriften erschienen waren, von Pharmafirmen finanziert wurden. Ausserdem konnte die Studie beweisen, dass manche Forscher "angepasste" Ergebnisse veröffentlichen, um den grossen Pharmakonzernen ein wenig entgegenzukommen.
Die Krebsforschung aus den Klauen der Industrie befreien
Forscher befinden sich dieser Untersuchung zufolge äusserst häufig in Interessenskonflikten, die zu den genannten angepassten Ergebnissen führen.
"Wenn wir eine unabhängige Krebsforschung möchten, müssen wir ihre Verbindungen zur Industrie kappen",
sagte die Autorin der Studie, Reshma Jagsi, M.D., D. Phil., Assistenz-Professor für Strahlentherapie an der U-M Medical School, in einer Mitteilung an die Presse.
Herren und Sklaven
Immer mehr Forscher konkurrieren um immer weniger staatliche Forschungsgelder. Kein Wunder also, wenn Wissenschaftler die Gelegenheit nutzen und sich – praktisch gezwungenermassen – von den grossen Pharmafirmen finanziell unterstützen lassen.
Doch schaffen Verbindungen dieser Art erwiesenermassen Herren und Sklaven. Letztere lassen sich durch immer geschicktere Köder in immer engere Ketten legen. Eine unabhängige Forschung zum Wohle der Menschen ist nicht mehr möglich.
Unauffällige Bezahlungsmodi
Natürlich erhalten die Wissenschaftler in den seltensten Fällen einen dicken Scheck für dieses oder jenes Studienergebnis. Die Fäden werden auf so raffinierte Art und Weise gesponnen, dass sie auf den ersten Blick nicht sichtbar sind. So gibt es beispielsweise gewisse Vergütungen für Beratungsdienste. Beraten wird dabei nicht nur medizinisches Fachpersonal, sondern auch staatliche Institutionen bis hin zu den Ministerien – und verständlicherweise stets im Sinne des Geldgebers.
Anerkennung erhält der Wissenschaftler nicht selten auch in Form von Aktien des betreffenden Konzerns, so dass sein Interesse an dessen steigenden Umsätzen nicht gerade gering ist und er direkt davon profitiert, wenn die von ihm getesteten Medikamente ein prima Studienergebnis erzielen. Beliebt sind ausserdem fest bezahlte Stellen im Konzern selbst, so dass der Wissenschaftler auch das letzte bisschen Unabhängigkeit noch verliert.
Das ist auch der Grund dafür, weshalb sich heute die meisten medizinischen Fachzeitschriften von unabhängigen Sachverständigen prüfen lassen, um potentiellen Interessenskonflikten in den Studienberichten möglichst vor Veröffentlichung derselben auf die Spur zu kommen. Allerdings genügt diese Kontrolle nicht immer und sie wird kaum der in dieser Branche üblichen gut getarnten Korruption vorbeugen können.
29 Prozent der Krebsstudien mit zweifelhaftem Ergebnis
Um zu belegen, wie oft klinische Studien zum Vorteil der Pharmakonzerne ausfallen, überprüften Dr. Jagsi und seine Kollegen 1534 Krebsstudien, die im Jahre 2006 in den Zeitschriften New England Journal of Medicine, Journal of the American Medical Association (JAMA), Lancet, Journal of Clinical Oncology, Journal of the National Cancer Institute, Lancet Oncology, Clinical Cancer Research und Cancer veröffentlicht wurden.
Bei knapp einem Drittel der untersuchten Krebsstudien, nämlich 29 Prozent, wurden offensichtliche Verbindungen der betreffenden Wissenschaftler zur Pharmaindustrie entdeckt.
So fand man in den Autorenlisten der veröffentlichten Studien Forscher, die auf der Gehaltsliste der grossen Pharmakonzerne standen, ausserdem Forscher, die Beratungshonorare bestimmter Pharmakonzerne kassierten sowie Forscher, die in den Konzernen gut bezahlte Jobs inne hatten. Ungefähr 17 Prozent wurden gar direkt und ohne Umwege von der Industrie finanziert.
Laut der aktuellen Cancer-Studie wurden die meisten Interessenskonflikte in Artikeln aufgedeckt, deren Hauptautoren dem medizinischen Fachbereich der Onkologie angehörten (45 Prozent), die ferner aus den USA stammten (33 Prozent) und die mit Hilfe männlicher Autoren von hohem Rang verfasst waren (37 Prozent).
Skrupellosigkeit keine Seltenheit
Besonders erschreckend war in dieser Angelegenheit, dass man in den genannten Krebsstudien die Überlebensrate von Patienten einfach höher ansetzte, wenn davon bestimmte verschreibungspflichtige Medikamente, diagnostische Untersuchungsmethoden oder sonstige neue Technologien profitierten.
Das aber kann für die künftigen Patienten sehr ernsthafte Folgen haben, da Studien über die Wirksamkeit von Therapien – wenn die Ergebnisse in renommierten Fachzeitschriften veröffentlicht werden – gewöhnlich als Basis für die Genehmigung dieser Therapien dienen.
Wenn also Onkologen ihre Krebspatienten beispielsweise mit Medikamenten behandeln, nur weil diese Medikamente in von der Pharmaindustrie finanzierten und beeinflussten Studien angeblich die Überlebenschancen erhöht haben (das aber in Wirklichkeit gar nicht stimmte), dann deutet das einerseits auf völlig unzureichende Kontrollmassnahmen hin, andererseits aber auch auf Konzerne, die zur Umsatzsteigerung offenbar über Leichen gehen.
Behandlungsmethoden werden häufiger in Studien untersucht als der Nutzen von vorbeugenden Massnahmen
Die Untersuchung über die Glaubwürdigkeit von Krebsstudien enthüllte ausserdem, dass sich Studien, die von der Pharmaindustrie finanziert wurden, gerne auf kostspielige Behandlungsmethoden konzentrierten, während sich Studien, die ohne finanzielle Unterstützung der Industrie durchgeführt wurden, eher um die Auswirkungen von vorbeugenden Massnahmen und um den Einfluss von Risikofaktoren kümmerten.
So hatten 62 Prozent der industriefinanzierten Studien Behandlungsmethoden zum Inhalt, während dies bei unabhängigen Untersuchungen nur in 32 Prozent der Studien der Fall war.
"Wenn wir den Einfluss der Pharmaindustrie auf unsere Wissenschaftler minimieren möchten, muss Forschung künftig mit öffentlichen Geldern finanziert werden. Wir dürfen keinesfalls erwarten, dass die Wirtschaft die nötigen Mittel bereitstellt",
sagte Dr. Jagsi in einer Erklärung an die Presse. Medizinische Forschung soll schliesslich uns allen von Nutzen sein und darf sicher nicht für die Gewinnmaximierung grosser Konzerne missbraucht werden.
(*) Cancer ist das offizielle Magazin der American Cancer Society. Es handelt sich um ein wissenschaftliches peer-reviewed Magazin. "Peer-reviewed" bedeutet, dass die darin veröffentlichten Studien und Veröffentlichungen erfolgreich den Peer-Review durchlaufen haben. Peer Review ist ein Verfahren zur Beurteilung von wissenschaftlichen Arbeiten, wobei unabhängige Gutachter aus dem gleichen Fachgebiet wie die Autoren herangezogen werden, um die Qualität der betreffenden Arbeiten zu beurteilen. Die Gutachter werden Peers genannt.